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 Der Kleinste ist wieder Alte

Appetizer des Monats: Dezember 2022. TJ Shorts.

 Der Kleinste ist wieder Alte

TJ Shorts lieferte in der vergangenen Spielzeit für die HAKRO Merlins Crailsheim eine überragende Saison ab, ehe er durch eine schwere Brustmuskelverletzung ausgebremst und dadurch womöglich um den MVP-Titel gebracht wurde. Nach seinem Wechsel zu den Telekom Baskets Bonn könnte er sich dort nun zum besten Spieler der Liga krönen – wenn nicht wieder etwas dazwischenkommt.

Interview: Alex Büge.

Plötzlich wird es ganz still in der Vijf Meihal im niederländischen Leiden. Nach der Unterbrechung der FIBA-Europe-Cup-Viertelfinalpartie zwischen den HAKRO Merlins Crailsheim und ZZ Leiden sind nur vereinzelte Fans zu hören. Denn die Zuschauer haben ein Gespür dafür, was gerade passiert ist. Schon mehrere Minuten liegt Aufbauspieler TJ Shorts nun auf dem Boden. Er krümmt sich, schreit immer wieder vor Schmerzen. Dabei war er Mitte des dritten Viertels nach einem Ballverlust eigentlich nur nach hinten gerannt und hatte versucht, Gegenspieler Worthy De Jong den Ball beim Korblegerversuch aus den Händen zu schlagen. Sekundenbruchteile später schoss ein stechender Schmerz durch seinen rechten Brustmuskel, ehe Shorts hinter der Korb-anlage zu Boden sank. „Es war wohl ein ungewöhnlicher Winkel“, erinnert sich der US-Guard gemeinsam mit BIG an die Situation, die sich am 16. März ereignete. „Normalerweise passiert eine solche Verletzung eher beim Krafttraining. Es war einfach ein sehr unglücklicher Moment.“ Wie schwer seine Verletzung tatsächlich war, erfuhr der 25-Jährige allerdings erst am nächsten Tag. Sein Brustmuskel war komplett gerissen, eine Rückkehr während der Saison ausgeschlossen. Eine Hiobsbotschaft – für ihn selbst, die HAKRO Merlins Crailsheim und die BBL. Schließlich war Shorts bis zu diesem Zeitpunkt der heißeste MVP-Kandidat der Saison. Dank 20,6 Punkten, 3,4 Rebounds, 7,0 Assists und 1,9 Steals pro Spiel lag sein Team zum Zeitpunkt der Verletzung klar auf Playoff-Kurs. Mehr noch: Shorts führte die Merlins ins Pokalfinale und damit zum größten Erfolg der Vereinsgeschichte. Entsprechend frustriert war der quirlige Guard nach der Diagnose. Sein MVP-Traum platzte, die Crailsheimer Playoff-Hoffnungen ebenfalls. „Es war natürlich sehr frustrierend. Wir haben eine großartige Saison gespielt und hätten noch mehr erreichen können“, sagt Shorts. „Trotzdem habe ich versucht, positiv zu bleiben und das Beste aus der Situation zu machen.“

Allerdings war das für den basketballenthusiastischen Shorts phasenweise alles andere als einfach. Immerhin musste er sich nach der nötigen Operation in einem Krankenhaus nahe München drei Monate lang auf die Rehabilitation seines rechten Brustmuskels konzentrieren. An sport-artspezifisches Training war dabei zunächst nicht zu denken, vielmehr musste Shorts in den ersten Wochen eine Armschleife tragen, die seine Muskulatur entlastete und seine Bewegungen einschränkte. Seine Psyche war gefragt – viel-leicht mehr denn je.

Denn Shorts musste sich zurück kämpfen, wochenlang. Eine Phase, während der er enorm von der Unterstützung seiner engsten Freunde und seiner Familie profitierte. „Es war definitiv tough, den Sport, den ich so sehr liebe, während der restlichen Saison und auch danach nicht ausüben zu können“, blickt Shorts zurück.  „Bis Anfang Juli konnte ich mit dem Basketball nicht trainieren. Vorher ging es für mich vor allem darum, die Beweglichkeit wieder zurückzuerlangen und in dem betroffenen Bereich wieder stärker zu werden.“

Im Juli konnte Shorts dann endlich sein Come-back auf dem Court feiern. Zusammen mit seinem langjährigen Freund und Trainer Maurice Aguliar brachte er sich zunächst wieder in Form, um anschließend akribisch an seinem Spiel zu arbeiten. Dabei legte Shorts aber nicht nur Wert darauf, sein zuletzt etabliertes Level zu erreichen. Stattdessen war er einmal mehr gewillt, sein Offensivrepertoire zu erweitern, um für die gegnerischen Verteidigungen trotz seiner verhältnismäßig geringen Körpergröße von 1,75 Metern noch schwerer ausrechenbar zu sein. Dementsprechend verfügt Shorts über ein großes Arsenal an Abschlussmöglichkeiten. Unzählige Ballhandlingdrills, diverse Korblegervarianten, Floater, Mitteldistanzwürfe aus vollem Lauf, Stepback-Dreier. Shorts ging jeden erdenklichen Move Hunderte Male durch. „Coach Moe hat mein Spiel studiert und alles auf Video auseinandergenommen“, erklärt Shorts seine spezielle Workoutroutine in der diesjährigen Offseason.

„Er hat wieder Bereiche gefunden, in denen ich wirklich angreifbar bin und die ich verbessern musste. Dabei ging es unter anderem auch darum, dass ich meine Reaktionsschnelligkeit und meine Entscheidungsfindung verbessere.“ Verfolgt wurde dabei stets ein Ziel: „Wenn ich in ein Spiel starte, soll mich nichts mehr überraschen“, sagt Shorts, der seine Profikarriere im lettischen Ventspils startete und anschließend in Hamburg und Crailsheim aktiv war. „Stattdessen habe ich die verschiedensten Möglichkeiten, um zu einem guten Abschluss zu kommen.“

Im Kraftraum verbrachte Shorts in diesem Sommer hingegen weniger Zeit, da seine Verletzung ein hartes Training für den Oberkörper lange Zeit schlichtweg nicht zuließ. Sein Fokus lag eher darauf, von seiner enormen Schnelligkeit möglichst nichts einzubüßen. „Ich habe viel an meinen Beinen gearbeitet, um die Sprungkraft zu haben, die ich brauche, um zum Korb zu gehen und dort über Big Men abschließen zu können“, sagt Shorts, der nicht nur wegen seiner Körpergröße akribischer an seinem Spiel feilen will als die Konkurrenz. „Ich arbeite so hart, weil ich besser werden will als jeder andere Spieler. Deswegen versuche ich in der Offseason immer das Optimum aus mir herauszuholen.“ Durch seine Verletzung sei er zunächst zwar ein wenig zurückgeworfen worden, doch inzwischen sei er wieder komplett fit. „Ich bin wieder bei 100 Prozent und freue mich sehr auf eine hoffentlich erfolgreiche Saison bei den Telekom Baskets Bonn.“

Dort sind die Erwartungen an Shorts allerdings riesig, vor allem vonseiten der Fans. Immerhin ist der Zugang der Nachfolger von Publikumsliebling Parker Jackson-Cartwright, der die Rheinländer auf den zweiten Tabellenplatz und zur ersten Halbfinal-Teilnahme seit der Saison 2008 / 2009 führte. Und da Shorts Vorgänger PJC von der Spiel-anlage her sehr ähnlich ist und als erster Aufbau-spieler ebenfalls der Dreh- und Angelpunkt der Bonner Offensive sein soll, wird sich der Vergleich der beiden besten BBL-Point-Guards der vergangenen Saison für zahlreiche Fans und Beobachter der Liga immer wieder aufdrängen. „Die Spiel-weise von Coach Tuomas Iisalo wurde immer durch einen dominanten Point Guard bestimmt. So wird es auch in dieser Saison sein. TJ wird viel den Ball in den Händen haben, um offene Würfe für uns zu kreieren“, blickt Baskets-Kapitän Karsten Tadda im Gespräch mit BIG voraus. „Es wäre aber unfair, von ihm zu verlangen, dass er uns nun mindestens auf das Vorjahresniveau hieven muss.“

Shorts selbst verspürt ebenfalls keinen großen Druck. Im Gegenteil. Er will sein Spiel für sich sprechen lassen. „Wenn ich auf den Court gehe, denke ich nicht darüber nach, wer schon einmal etwas gewonnen hat oder ob jemand größer ist als ich“, sagt Shorts, dessen spielerisches Vorbild NBA-Star Chris Paul ist. „Ich beschäftige mich auch nicht damit, was andere Leute über mich denken. Vielmehr versuche ich immer, die best-mögliche Version meiner selbst zu sein, damit mein Team erfolgreich sein kann. So werde ich es auch in dieser Saison machen. Die Resultate werden dann zeigen, ob das gut geklappt hat.“ Dabei ist Shorts bestrebt, als Scorer, Vorbereiter und Verteidiger erneut zu den besten Spielern der Liga zu gehören.

Ein Auge auf den MVP-Titel hat er allerdings nicht geworfen, auch wenn er ihn in der vergangenen Saison wohl nur aufgrund seiner Verletzung nicht verliehen bekam. „Ich möchte ein wenig etwas von allem tun, um Spiele zu gewinnen. Das ist mir am wichtigsten. Deswegen war der MVP-Titel während der letzten Saison nicht in meinem Kopf und ist es auch jetzt nicht“, sagt Shorts, der sich abseits des Parketts als gutherzigen, lustigen und aufmunternder Typ beschreibt. „Wenn man mit der Einstellung in die Saison geht, etwas zu erreichen, was in der Vergangenheit war, dann wird das nicht funktionieren.“ Denn in dieser Saison sei die Situation schlichtweg eine andere. „Wir haben ein neues Team, die Kultur innerhalb der Mannschaft musste neu aufgebaut werden“, beschreibt Shorts eine wichtige Aufgabe während der Saisonvorbereitung. „Das hat bisher groß-artig geklappt, weshalb ich sehr zuversichtlich in die Saison gehe.“

Was für die Telekom Baskets Bonn und ihre Fans dabei am Ende herausspringt, wird sich während der Spielzeit immer klarer herauskristallisieren. Mit einem gesunden TJ Shorts in einem System von Coach Tuomas Iisalo gehören die Rheinländer allerdings zu den heißesten Playoff-Kandidaten. Auch deshalb sind Shorts die Teamziele deutlich wichtiger als individuelle Auszeichnungen. „Wir wollen um den Titel mitspielen“, erklärt der quirlige Aufbauspieler. „Dafür versuchen wir unsere Identität von Tag zu Tag kontinuierlich zu stärken und uns stetig zu verbessern. Wenn uns das gelingt, können wir am Ende der Saison viel erreichen.“

Dabei hoffen viele Fans schon jetzt darauf, dass mit einem „besseren PJC“ vielleicht sogar noch mehr drin ist als der Halbfinal-Einzug vergangene Saison und Shorts womöglich von einem längeren Verbleib überzeugt werden könnte. Für den US-Guard selbst wäre es hingegen das erste Mal, dass er einem Team länger als eine Saison treu bleibt. „Ich sehe mich immer noch als jungen Spieler an, der sich weiter verbessern kann. Mit dieser Einstellung blicke ich in die Zukunft. Mal sehen, wohin mich das noch führt“, sagt Shorts, der am 15. Oktober seinen 25. Geburtstag gefeiert hat. „Ich schließe nichts aus, womöglich laufe ich in der nächsten Saison erneut in Bonn auf.“ Zu diesem Zeitpunkt dann vielleicht sogar endlich als MVP. Der kleinste Spieler der Liga wäre somit nicht nur wieder der Alte, sondern dann auch endlich offiziell der Beste der gesamten BBL.

 

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